AUTORITRATTO
Schon seit längerer Zeit beschäftigt mich bei Tag und bei
Nacht ein Projekt, das mich nicht mehr loslässt. Es ist existentiell
für mich. Daher möchte ich es unbedingt realisieren und stecke
meine ganze Kraft hinein.
Am Beginn steht die Suche nach einem Olivenbaum, der möglichst nahe
aus der Gegend kommen soll, in der ich geboren wurde. Da die Menschen
ihre Olivenbäume wie Schätze achten, wird dieser Teil des Prozesses
ein zähes Ringen, bis der richtige Baum – eben mein Baum gefunden
ist. Dafür ist es notwendig, nach Kalabrien zu reisen, um dort mit
dem Bürgermeister, den Bauern, den Menschen, den Verwandten vor
Ort zu verhandeln.
Im zweiten Schritt, einer zweiten Reise, wird der Olivenbaum
aus seinem warmen, kalabresischen Boden ausgehoben, auf einen Laster
geladen, mit seinen Erdballen hingelegt und nach einer langen Fahrt durch
Italien nach Vorarlberg verfrachtet. Der Vorgang der Verhandlung, der
Aushebung, der Entwurzelung, des Transportes und der Neueinpflanzung
des Olivenbaumes wird filmisch dokumentiert und ist ein wichtiger Teil
des Ganzen.
Genauso wenig wie ich, die ich 1953 nach einer langen Reise hier in Hohenems
angekommen bin und mich nicht einmal fragte, was am Ende der Fahrt steht,
so weiß auch dieser Baum nicht, ob er durch die Verpflanzung Schaden
erfährt.
Der Olivenbaum ist ein wichtiger Teil der Erinnerungen
aus meinem Leben. Er steht als Metapher für Veränderung. Er steht für
mich. Daher handelt es sich um ein Selbstportrait: ein Autoritratto.
Der Olivenbaum ist ein Wesen voller Schönheit. Er spricht zu mir.
Sein Stamm hat sich gewunden, um aus der schwierigen Erde heraus hinauf
zu wachsen. Die Bekleidung ist silbrig-bräunlich-grünlich.
Der Stamm ein hartes, warmes Relief, das man streicheln kann. Seine vielen
Arme winden sich in alle Richtungen. Kein Zierbaum - ein Ernährungsbaum.
Das wundervolle Laub ist silbrig, die Blätter nicht zu lang und
schmal seine Früchte: schwarze, grüne, rotbraune Perlen, die
man essen kann. Oliven und Brot fürs Abendessen oder fürs Frühstück.
Aus den Perlen kommt so gutes Öl, goldfarben, grünlich schwer,
lautlos träge. Der Olivenbaum beschattet heiße, gleißend
helle Tage. Zur Erntezeit liegt ein weißes großes Leintuch
unter ihm. Mit langen Holzstangen klopfen Bauern, krumm wie ihr Baum,
bedacht auf die schweren Äste. Das weiche Geräusch der fallenden
Oliven ist wunderschön.
Mariella Scherling Elia
Hohenems 2012 |
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